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Neun Strafanzeigen gegen IV-Gutachter von Zürcher Firma eingegangen

​​​​​​​Als Gutachter für die Zürcher Firma PMEDA AG untersuchen diverse deutsche Ärztinnen und Ärzte Schwerkranke. Sie entscheiden, wer in der Schweiz eine Invalidenrente erhält und wer nicht. Dies, obwohl sie nicht in der Schweiz wohnen und auch keine Praxis im Land führen. Der Leiter der Firma, der deutsche Neurologe Henning Mast – ein Erbe der Jägermeister-Unternehmerfamilie – wurde bereits in der Vergangenheit für die Flugärzte-Praxis und die Gutachten-Qualität kritisiert.


Nun sind auch die Behörden aktiv geworden: Laut dem deutschen Recherchekollektiv «Correctiv» durchsuchten Steuerfahnder Anfang April mindestens zehn Wohnungen und Geschäftsräume in ganz Deutschland. Wegen Steuerbetrug ermittelt das Finanzamt Ulm derzeit insgesamt gegen zwölf Personen. Gemäss «Correctiv» gehe es um einen grossen Fall und um zum Teil «sehr, sehr hohe Einkünfte». Den Medizinern und Medizinerinnen könnten in Deutschland weitere strafrechtliche Verfahren drohen – wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse.


Hoher Spardruck im Sozialsystem


Auch in der Schweiz ermitteln die Behörden: Wie «Correctiv» und der «Kassensturz» berichten, laufen derzeit neun Strafanzeigen gegen Gutachter. Dies, weil etwa bereits diagnostizierte Krankheitsbilder nicht abgeklärt wurden und in den Gutachten teilweise Untersuchungen auftauchten, die nie durchgeführt wurden. Für Betroffene sind die Folgen verheerend: Ohne IV-Rente stehen sie vor dem Nichts. Sie müssen ihre Ersparnisse aufbrauchen oder auf Pump leben.


Eine Aufsicht über den 100-Millionen-Markt der Gutachter gibt es nicht. «Die Kontrolle funktioniert nicht», sagt darum auch Martin Hablützel, Fachanwalt für Versicherungsrecht in Zürich. Der Spardruck im Sozialsystem sei hoch. Gutachten, die einen IV-Anspruch in Abrede stellen, dürften den Versicherungen also gelegen kommen. «Man hat ein System, das Missbräuche, wenn nicht fördert, so zumindest nicht verhindert.»


IV-Gutachten zulasten der Versicherten


Der Solothurner SVP-Kantonsrat und Jurist Rémy Wyssmann hatte nach einer Klage vor Gericht Einsicht in alle Solothurner PMEDA-Gutachten zwischen 2013 und 2020. Bei einer Auswertung der 79 Gutachten zeigte sich, dass nur knapp 18 Prozent der Begutachteten als arbeitsunfähig eingestuft wurden und eine IV-Rente erhielten. «Man hat gesehen, dass eine sehr große Anzahl bei den PMEDA-Gutachten immer zulasten der Versicherten ausfallen und nicht zulasten der Versicherung. Und das ist schon seltsam, sagt Wyssmann zu «Correctiv». «Wir haben den Verdacht, dass PMEDA-Gutachter versuchen, lukrative Aufträge so zu bekommen.»


Wer aufgrund von Erkrankungen nicht mehr arbeiten kann, hat Anspruch auf eine IV-Rente.

Um die Arbeitsunfähigkeit zu überprüfen, stellen Ärztinnen und Ärzte Gutachten aus.

Im Jahr 2021 gaben die kantonalen IV-Stellen 98 Millionen Franken für Gutachten aus, wie das Internetmagazin Infosperber berichtet.

Die PMEDA erhielt demnach Aufträge in einer Höhe von 4,1 Millionen Franken.

Der Chef der Firma ist ein Erbe der Jägermeister-Familie, laut «Correctiv» erbte er nach 2011 mindestens 18 Millionen Euro.


Die PMEDA weist die Vorwürfe allesamt zurück. Das Ergebnis eines Gutachtens für die Invalidenversicherung habe keinen Einfluss auf die Vergabe von Gutachten. Zudem seien die Anzeigen gegen die Firma «nicht fundiert», medizinische Gutachten «laufend» gerichtlich angefochten: «Es geht um viel Geld. (…) Jede und jeder kann Strafanzeigen einreichen, auch wenn sie haltlos sind.» Es habe bis heute keine Urteile gegeben, wonach sich PMEDA-Gutachter in irgendeiner Weise fehlverhalten hätten.


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