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Nun ist auch Morphin knapp - so knapp, dass auch die Packungen geteilt werden müssen

Morphin gilt als letzte Hilfe bei unaushaltbaren Schmerzen. Seit dieser Woche ist es so knapp, dass die Originalpackung aufgebrochen und unter den Patienten aufgeteilt werden darf, was eigentlich verboten ist. Acht weitere Medikamente, darunter gängige Antibiotika, stehen seit 1. Mai neu auf der Liste zur Teilmengenabgabe des Bundes. Der Medikamentenmangel nimmt aber nicht nur zu, sondern er setzt sich fest.



Weder Bund noch Pharmafirmen gehen davon aus, dass die Engpässe aufhören. «Die Massnahmen, welche in der Schweiz getroffen werden können, haben kaum Einfluss auf die Ursachen», schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Anfrage. Die notorischen Lieferprobleme und deren Verschlechterung seien ein globales Problem mit globalen Ursachen.


Länder wie Frankreich reagieren: Sie fördern mit dem «France Relance»-Programm die Rückkehr der Wirkstoffproduktion nach Europa. Für das Schmerz- und Fiebermittel Dafalgan sollen ab 2024 rund 10 Prozent des Wirkstoffes Paracetamol direkt aus Frankreich kommen. Der Staat, die Dafalgan-Herstellerin UPSA und der Pharmakonzern Sanofi finanzieren den Aufbau der Produktionsanlage mit. Davon profitiert auch die Schweiz: UPSA kann so Dafalgan zuverlässiger auch an hiesige Apotheken und Spitäler liefern.


«Ziel ist, unsere Abhängigkeit von Wirkstoffen aus den USA, Indien und China zu verringern», sagt die Schweizer Länderchefin von UPSA, Véronique Velin. UPSA produziert Dafalgan zwar ausschliesslich in Frankreich, das Paracetamol kommt jedoch aus der ganzen Welt. Aus den USA muss die Firma es derzeit per Flugzeug liefern lassen. «Die weltweiten Häfen sind überlastet, sodass der Transport auf dem Seeweg zu lange dauern würde.»


«Für uns ist es wichtig, die Lieferzeiten zu verkürzen, das gibt uns mehr Flexibilität, um den kontinuierlichen Zugang zu Medikamenten zu gewährleisten.»

Véronique Velin, UPSA Schweiz


Die Engpässe bei Medikamenten hängen zu einem grossen Teil daran, dass die Lieferung von Wirk- und Hilfsstoffen immer mehr von Störungen betroffen ist. Trotz Lagerhaltung: Die schnelle Reaktion auf den schwankenden Bedarf klappt nur, wenn Lieferwege kurz sind. UPSA produziert in ihren Werken in Frankreich rund um die Uhr, um der derzeit besonders hohen Nachfrage gerecht zu werden. Das geht nur bei schnellen Wirkstofflieferungen.


«Für uns ist es wichtig, die Lieferzeiten zu verkürzen, das gibt uns mehr Flexibilität, um den kontinuierlichen Zugang zu Medikamenten zu gewährleisten», erklärt Velin.

Auch Eigenherstellung des Bundes ist ein Thema

Es seien einige Unternehmen, die sich überlegten, die Wirkstoffproduktion zurück nach Europa zu holen, sagt Ernst Niemack, Geschäftsführer der Vereinigung Pharmafirmen Schweiz (Vips). Er ist in der Arbeitsgruppe des Bundes, die langfristige Massnahmen zur Versorgungssicherheit ausarbeitet. Unter anderem wird dort diskutiert, ob die Schweiz die Rückkehr der Produktion wie Frankreich finanziell fördern soll.


Beim BAG und dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) heisst es, es gehe um mögliche «Anreize für Produzierende und auch Eigenbeschaffung oder -herstellung des Bundes».

«Allein die Pflichtlager auszuweiten, reicht nicht», betont Niemack. «Wir wissen nicht, welche Medikamente wir in einer neuen Krise überhaupt benötigen werden.»


«Um sicherzustellen, dass wir auch in einer Krise mit Medikamenten aus Europa beliefert werden, brauchen wir Staatsverträge.»


Ernst Niemack, Vereinigung Pharmafirmen Schweiz

Die Schweiz ist jedoch zu klein, um die Wirkstoff- und Medikamentenproduktion hierher zurückzuholen. Die Kapazität einer Produktionsanlage wäre für die Schweiz deutlich zu gross, zum Teil würde schon eine Laufzeit von wenigen Minuten für den Schweizer Jahresbedarf genügen.


Für die Schweiz läuft es auf eine Kooperation mit Europa hinaus. Nur dann ergibt eine Rückkehr der Produktion Sinn. Hier aber liegt die Krux.

«Um sicherzustellen, dass wir auch in einer Krise mit Medikamenten aus Europa beliefert werden, benötigen wir Staatsverträge», fordert Niemack.

Das weiss auch der Bund.


«Ursachenbekämpfung ist nur in internationaler Zusammenarbeit möglich», schreiben BAG und BWL. Diese werde, soweit es unter den heutigen politischen Stossrichtungen möglich ist, auch gesucht. Das aber sei schwierig: «Eine engere Zusammenarbeit mit der EU wäre wünschenswert, ist aber aufgrund der politischen Situation zurzeit nicht einfach.»

Produktion in Europa ist rund 10-mal teurer

Im Klartext heisst das: Das fehlende EU-Rahmenabkommen kommt der Versorgungssicherheit der Schweiz mit Basismedikamenten in die Quere.


Natürlich ist die Produktion in Europa auch eine Preisfrage: Die Produktion von Medikamenten in Europa sei bei Antibiotika rund 10-mal teurer als in Asien, sagt Niemack. «Am Ende geht es um die Preise für patentabgelaufene Medikamente der Grundversorgung, die zu niedrig sind oder wenigstens stabil bleiben müssen», betont der Pharmaverbands-Chef.


Schon jetzt stöhnen Firmen wie UPSA. «Unsere Produktionskosten sind seit dem vergangenen Jahr um 20 Prozent gestiegen, da unsere Rohstoffe sowie sämtliche Verpackungsmaterialien wie Karton oder Papier für die Beipackzettel einer starken Inflation unterliegen», sagt Velin. Auch der Preis für das Paracetamol aus Asien und den USA liege 20 Prozent höher. Dafalgan aber kann nicht teurer werden, denn die Medikamentenpreise sind staatlich festgesetzt und werden gesenkt statt erhöht.


Das Parlament berät momentan ein Gesetz, das dem Bundesrat erlauben soll, die Preise für wichtige und günstige Arzneimittel nicht mehr zu reduzieren. Stabile Medikamentenpreise ermöglichen eher eine Produktion in Europa.

Aber eine Produktion garantieren und damit eine Liefersicherheit ermöglichen tun auch die stabilen Preise nicht.

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